Sexualmagie
–
die
Metaphysik des Sexus
Geschlecht ist in allem,
alles hat männliche und weibliche
Prinzipien,
Geschlecht offenbart sich auf allen
Ebenen.
Das 7. Prinzip der Hermetik
Mann! Frau! - sie
gelten von Anfang an als die beiden tragenden Säulen der Schöpfung, und obwohl
sie im paradiesischen Sinne Eins sind, erweisen sich ihre Aufgabenbereiche auf
dem Erdenacker als verschieden voneinander. Wer sich dieses heiklen Themas
annimmt, sollte sich der Gefahr, der er sich aussetzt, bewusst sein, und wissen,
in welche Nische er vielleicht gestellt wird. Dessen bin auch ich mir bewusst,
wenn ich die Mode der blassgrau getünchten Relativierungsbretter, die heute vor
der toleranten Stirn spazieren getragen werden, nicht überall mitmache und auf
geistigen Gebieten lieber die gute alte Eindeutigkeit aus der Mottenkiste hole.
Doch um es gleich vorwegzunehmen und gravierenden Missverständnissen
vorzubeugen: Mich stört es persönlich überhaupt nicht, wenn Papa Karl-Hugo, den
Jüngsten auf dem Arm, Grießbrei kocht und bei Mama Lucie-Courage in der
Chefetage anruft, weil das Geld, das sie hingelegt hat, für den Fernsehservice
nicht reicht. Es ist für mich auch irrelevant, ob Frankfurt von einer
souveränen Blondine bewegt wird oder von einem Nadelstreifenherrn im Apfelwein-Express.
Wie sich heutzutage Geschlechtlichkeit im Alltag zeigt, in welchen Bereichen
dadurch Problematisches erkennbar wird, soll hier nicht Gegenstand der
Überlegung sein. Mir liegt es einzig und allein am Herzen, die „Metaphysik des
Sexus“ (Buchtitel von J. Evola) auf der Ebene von Mysterienspielen, Ritualen
und Initiationen in seiner magischen Wirksamkeit zu erhalten — dort herrscht
diesbezüglich ein unbestreitbares ein Ordnungsgebot.
Die Grundeigenschaft des Fluidums von Mann und Frau
Wohlwollend herzlich
konnte ich über folgende Situation lachen. Als wir vor etlichen Jahren in unser
jetziges Haus einzogen, wurde noch vieles umgebaut, und ich kam mit den Worten
die Treppe hoch: „Was macht denn Claudia Schiffer bei uns im Keller?“ Antwort:
„Der Schöne ist einer von den Maurern!“ Donnerwetter, wahrlich schön kam der
blutjunge Mann daher: Filigran gebaut, glitzerndes Kettchen am zarten
Handgelenk, Milchhaut, nabellanges Goldhaar, hellblaue Augen, sanft
geschwungene Rosentaulippen, das Charisma eines Engels, sehr feminin und
dennoch von eindeutig männlicher Ausstrahlung. Denn spätestens bei dem tiefen
Timbre seiner sonoren Stimme assoziierte ich ganz und gar: Mann.
Jetzt nehmen wir
einmal an, dieser Märchenprinz wäre gewillt, auf einer Bühne als Darsteller
oder in einem Ritual als Beamter zu fungieren, man würde trotz seiner femininen
Schönheit nicht auf die Idee kommen, ihn als jugendliche Geliebte einzusetzen,
auch nicht als Vestalin, nicht als Isispriesterin, nicht als verschleierte
Sophia, nicht als Mondenfrau oder Aphrodite, nein, niemals! Als Höheres Selbst,
als Amor, Androgyn oder Erzengel Raphael könnte ich ihn mir aber sehr gut
vorstellen, wunderbar auch als Parzival im Purpurmantel, als Lohengrin, als
Herold, als zelebrierender Meister des Ostens mit Lamen und Efodschärpe — also
grundsätzlich als männliche Lichtgestalt, in Glanz und Glorie! Er gehört der
Magie des feurigen Südens oder des luftigen Ostens an, aber ganz bestimmt wäre
er in den Bereichen von Wasser und Erde fehl am Platz. Die Rollendramaturgie
würde auch von dem Privatleben des Darstellers keineswegs beeinträchtigt werden
können. Ob er nun Mamis harmloser Liebling, homosexuell oder Familienvater sei
oder nach Feierabend strippte, es würde an der Rollenauswahl für seine Person
nichts ändern. Das Verhalten, die Vita, der Lebensstil oder die Denkweise sind
von sekundärer Bedeutung, wenn es um archetypisches und rituelles Arbeiten
geht. Im Vordergrund steht das geschlechtsspezifische Fluidum als
Grundeigenschaft, wie Evola dies mit folgenden Worten ausdrückte.
In dem Bereich der Ideen müssen wir also festhalten,
daß
das Mannsein und das Frausein vor allem innere Realitäten
sind,
und zwar so weit, daß das innere Geschlecht nicht mit dem
Körperlichen
überein zu stimmen braucht. Es ist eine bekannte Tatsache,
dem Körper nach Mann zu sein, ohne es auch im Geiste
sein zu müssen (anima mulieris in corpore inclusa virili);
dasselbe gilt natürlich auch für die Frau. Das sind Fälle von
Asymmetrie,
die von verschiedenen Faktoren abhängen können.
Dies
beeinträchtigt aber nicht die Grundeigenschaft des Fluidums,
das ein Wesen
besitzt, je nachdem ob es physisch Mann oder Frau ist. (...)
Julius Evola,
Methaphysik des Sexus
Unter Fluidum
versteht man jene subtile Wirkung, die von einem Geschlecht ausgeht. Ein Mann
verströmt grundsätzlich ein anderes Fluidum als eine Frau. Im umgekehrten Fall
zu dem obigen Beispiel könnte es sich um eine Frau handeln, deren Denken,
Handeln und äußere Erscheinung sehr männlich wirkt, aber auch sie dürfte in
einem Mysterienspiel nicht den Weg eines solaren Helden darstellen. Bevor man
aus Männermangel eine Frau – und sei sie auch noch so durchtrainiert oder solar
denkend – als Herakles, Parzival oder Siegfried auf die Bühne brächte, würden
man das Projekt lieber ganz ausfallen lassen. Und ich glaube, verehrter Leser,
sie nicken jetzt mit dem Kopf und würden nicht sagen: Probieren wir es aus und
schauen wir mal, wie tapfer Luise sich in der Rolle des Theseus schlägt!
Etwas Ähnliches
praktiziert jedoch die Protestantische Kirche, wenn am Altar eine Frau steht oder die
Formulierung Feministische Theologie ihren Raum beansprucht. Im Sinne
von Toleranz und Gleichberechtigung darf es so etwas natürlich geben, zeigt
sich doch darin nur ein folgerichtiger Aspekt der gesamten Entweihung des
Christentums, der in seiner Vergröberung sogar bis zum Kirchenladen in der
Fußgängerzone führt. Nur muss man dann auch selbstkritisch genug sein und
zugeben können, wie wenig dies noch mit der Absicht solarer Religion zu tun hat,
wie wenig „Siegreiche Sonne“ man der Gemeinde noch zu schenken vermag. Wer
nicht allzu gern moralisierende Vorträge hört oder ein bisschen Lust auf
Feierlichkeit und gemeinsames Singen verspürt, sieht keine Veranlassung, eine
Kirche zu besuchen, in der die ureigensten Symbole nicht mehr stimmen. Das
magische Fluidum ist verkehrt; so etwas stört den Frieden der Seele! Hier fehlt
es an der Ausströmung eines geweihten Priesters, der seine Potenz gleichsam dem
Ritus zum Geschenk macht und auf diese Weise die Seelen an den Kelch lockt wie
die Bienen zum Nektar. Doch halt! Diese Worte führen uns bereits in die Nähe
sexualmagischer Geheimnisse, aber es liegt mir am Herzen, lieber etwas
langsamer dorthin zu gelangen!
Polarität bedingt den Solaren Auftrag der Erlösungsreligionen
Unser
sichtbares Universum verfügt über ein duales Ordnungsprinzip: Tag und Nacht,
Weiß und Schwarz, Sonne und Mond, Mann und Frau, Jachin und Boas, Wachen und
Schlafen. Nehmen wir wahlweise eine der genannten Zweiergruppen heraus, erkennen
wir sehr schnell, dass hier scheinbar eine gewisse Dehnbarkeit existiert,
vermag man doch bisweilen den Tag zur Nacht zu machen und umgekehrt. Nun könnte
man behaupten, darin läge eine Sowohl-als-auch-Thematik, die uns beweise,
durchaus in der Grauzone leben zu können. Aber ist es wirklich so, das heißt
auch dann noch, wenn man in größeren Zeit- und Raum-Dimensionen denkt? Halten
sich nach dem Gesetz des Ausgleichs die Pole nicht letztlich immer die Waage –
freiwillig eingelöst oder unfreiwillig aus dem Schicksal verabreicht?! Das Maß
des Schwunges nach rechts bedingt das Maß des Schwunges nach links, deshalb
stellt sich der aufgeräumte Kosmos beispielsweise in einem Yin-Yang-Zeichen oder
dem gleichschenkligen Kreuz dar, und dort sind Schwarz und Weiß, bzw.
Weibliches und Männliches zu exakt gleichen Teilen vorhanden. Auch im mundanen
Tierkreis oder im kabbalistischen Lebensbaum besteht ein absolutes
Gleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Kräften. In den Denkmodellen
des Numinosen herrscht die heute viel zitierte Gleichberechtigung seit eh und
je.
Der männliche
Archetyp gilt schon immer als kraftvoll verströmend, abstrahlend, agierend und
aufbauend. Antagonistisch dazu beschreibt man das Weibliche hingebungsvoll,
aufnehmend, bergend, reagierend und zerstörend. Da dies im Allgemeinen so klar
nicht voneinander getrennt, geschweige denn gelebt wird, und es nachweislich
nur Mischformen gibt, könnte man die Lehre der Urprinzipien auch gleich über
Bord werfen, stimmen sie doch zweifellos nicht mit der Alltagsrealität überein.
Ja, man blickt mit Recht stolz auf die Überwindung der viel zu simplen
archaischen Formel „er Jäger, sie Köchin“ und freut sich an den ganzheitlichen
Möglichkeiten, die sich Mann und Frau in unserem Kulturkreis eröffnen. Für das
Alltagsleben zwischen Büro und Freizeit mag das alles recht praktikabel sein.
Sicher ist es von dem soziologischen Standpunkt aus sogar gerechtfertigt, mit
den eigenen guten Erfahrungen missionarisch in fremde Kulturkreise
einzudringen, um dort die Verhältnisse in unserem Sinne zu verbessern. Die
Frage stellt sich freilich, ob unser Sinn denn wirklich dem besten Stern folgt.
Verlassen wir jedoch
die zwischenmenschliche Ebene, dann bedarf es im Thema der Geschlechtlichkeit
eines trennenden Schwertstreiches. Das Spiel der dualen Welt muss vor
Kirchenportalen und Tempelpforten zurückbleiben, denn mit einem initiatischen
Anspruch gebührt es sich, die Dinge an den richtigen Platz zu rücken.
Petrus-Religion und Johannes-Mystik betrachten sich beide selbst als erlösende
Instanz und verstehen sich zutiefst als Restaurateure der Urprinzipien. Beide
Zeugen Christi sind sich einig, sie wissen um ihre heilige Mission, die darin
besteht, eine archetypisch geordnete Menschheit in den Himmel zu bringen, und
kommen diesem Auftrag mit unterschiedlichen Werkzeugen nach. Petrus arbeitet
mit seiner Kirche mehr für das Volk als Ganzes. Johannes setzt sich mit seinen
Büchern und Initiationsriten machtvoll für den einzelnen ein. Im Endeffekt sind
sich beide Strömungen einig, jede hält den Keim der anderen in sich
verborgen. Kurz und bündig stellt sich das religiöse Heimholungswerk in den
sieben Regeln der Templer dar, deren Orden sich von 1118 - 1307 der nach
Wahrheit dürstenden Menschheit in gnostischer Weise annahm. Diese Templerthesen
wurzeln sinngemäß in allen Sonnenreligionen.
Die Sieben
Ordensziele der Tempelritter:
1.
Die exakte Auffassung von Autorität und Kraft
in
der Welt wieder herstellen
2.
Den Vorrang des Geistigen vor dem Vergänglichen betonen
3.
Dem Menschen das Bewusstsein seiner Würde wiedergeben
4.
Der Menschheit in der Schwere des Schicksalsweges zur Seite stehen
und auf die
Kraft des Geistes verweisen
5.
An der Wandlung der Erde auf allen drei Ebenen
im
Verborgenen mitwirken
6.
Insgeheim für die Gemeinschaft aller Kirchen arbeiten
7.
Die ruhmreiche Rückkehr des Christusbewusstseins
im Sonnenglanz wieder
herstellen.
Ganz
besonders auf die ersten beiden Punkte sollten wir in Bezug auf das Thema der
Polarität unsere Aufmerksamkeit richten. Die exakte Auffassung von Autorität
wieder herzustellen sowie den Vorrang des Geistigen vor dem Vergänglichen zu
betonen, bedeutet dem männlichen Schöpfungsprinzip auf den Thron
zurückzuverhelfen. Offenbar besteht hier ein Erfordernis, und es darf die Frage
gestellt werden, warum das Geistige nicht mehr den Vorrang besitzt und weshalb
es an Autorität eingebüßt hat? Die Antwort liegt begründet in der Materie und
ihrem Charakter, hat sie doch die Eigenschaft, das göttliche Walten zu
negieren, das Geistige zu unterdrücken, es zuzuschütten mit Stoff, es zu
bekämpfen, um selbst den Sieg davonzutragen. Die materielle Kraft vergisst
allzu gerne ihr eigenes Erschaffensein und glaubt felsenfest daran, selbst
Ursache statt Ergebnis zu sein. Menschen mit einer starken Bindung an das Materielle
übernehmen diese Untugend und überlagern, unterdrücken ihre Seele mit
Stofflichkeit, weshalb der überpersönliche Geist sie kaum noch umweht. Bis sie
eines Tages an der daraus resultierenden Wunde der Begeisterungslosigkeit
erkranken, sich wahrhaft niedergeschlagen fühlen und nach der Diagnose
Depression auf die Suche nach Erlösung gehen. An diesem Wendepunkt werden sich
dann von den Suchenden Kirchen oder Initiatenorden finden lassen. Dort werden
uralte und unabänderliche Hierophanien in ansprechender Form bereitgehalten und
stufenweise offenbart. Proportional zu dem Gewahrwerden des Sakralen erfahren
die materiellen Kräfte eine gewisse Entmachtung, da das Heilige auf seinen
angestammten Platz im Herzen des Menschen zurückkehrt. Wenn Gott dann wieder der
Omnipotente sein darf und in Ihm die eigentliche Heimat gefunden wird, hat sich
die dritte Bemühung der Templer erfüllt: Dem Menschen ist das Bewusstsein
seiner Würde wiedergegeben, er richtet sich innerlich auf und sieht Sinn und
Ziel des Lebens in einer höheren Dimension. Mehr und mehr vermag der Mensch
dann auf die Kraft des Geistes zu vertrauen (4.) und leidet dadurch weniger
unter der Schwere des Schicksalsweges. Auf diese Weise verwandelt sich die
Seelensubstanz der Menschheit allmählich auf drei Ebenen im Verborgenen (5.),
die Gemeinschaft aller Konfessionen wird Gewissheit (6.), und die ruhmreiche
Rückkehr des Christusbewusstseins im Sonnenglanz ist wieder hergestellt (7.).
Wer gerne in den
Hallen der Einweihung verweilt, wird erleben, wie in seiner eigenen Brust die
Gewissheit heranwächst, dass der aktive Pol den passiven aus sich herausstellt
und auf ihn einwirkt. Die einzige Ursache allen Seins liegt dann im Positiven,
im Erzeugenden begründet. Darunter verstehen wir, kosmisch wie irdisch, das
Männliche, das abstrahlende und nicht das weibliche, das aufnehmende Prinzip.
Aus dieser Erkenntnis heraus entstehen monotheistische Gottvater-Religionen, in
denen an oberster Stelle eine männliche Gottheit thront. Die Göttin existiert
lediglich als Ausströmung, als Reflex dieser Gottheit.
Die Frau als
Priesterin: Symbol für Tod,
Verwandlung, Wiedergeburt
Archaische Kulte, in
denen eine Göttin als die große Lebensspenderin verehrt wird, stellen lunare
Fruchtbarkeitskulte dar und streben nach diesseitiger Mehrung, Gedeihen der
Ernte, physischer Gesundheit und Ähnlichem.
Die Sumerer
verehrten die Liebesgöttin Inanna, die einen großen Kult anführte und deshalb
häufig Erwähnung findet, wenn es um weibliche Priesterschaft geht. Schauen wir
tiefer in diese Symbolik, dann erkennen wir bald, dass Inanna sich für eine
feministische Idee genauso wenig anführen lässt wie die mythologischen Figuren
Isis, Sophia oder Maria. Denn Inanna stieg in die Gruft des Todes hinab, um mit
Hilfe ihrer Schwester Ereschkigal, die in der Unterwelt herrscht, die
Unsterblichkeit für einen Sterblichen zu erwirken. Inanna schaffte es zwar aus
eigener Kraft, unter Einsatz ihrer Opferbereitschaft in dem chthonischen Reich
des Todes anzukommen. Aber dann geschah das Entscheidende: Die Liebesgöttin
stieß deutlich an die ihr gegebene Grenze, sie erreichte ihr Ziel nicht und
fiel dem Tod anheim. In ihrem Totsein bedurfte es des Wohlwollens männlicher
Gottheiten, um wieder leben zu dürfen. Zunächst trat ein androgyner
Vermittlergott als Psychopompos ein, dann schickte ein männlicher Gott zwei
Engel zu Inanna hinab, ließ einmal die Feuerstrahlen des Himmels aus deren
Augen auf den Leichnam richten und je sechzigmal die Speise und das Wasser des
Lebens darüber ausschütten. Das Licht schien in der Finsternis! Allein davon
erstand Inanna auf und befreite mit ihrem Aufstieg noch etliche Wesen aus der
Unterwelt.
Wir sollten in jeder
Ritualisierung dieses Inanna-Abstiegs, in der Symbolik von Tod und
Wiedergeburt, die Kernthematik weiblicher Spiritualität erkennen, die in der
Führung durch die Unterwelt liegt. Die Frau verkörpert als Symbol immer die
gespaltene Zwei. Durch die menstruale Abhängigkeit von dem Mondzyklus galt die
Frau in vergangenen Kulturen als verwundet, also zerrissen und unheil. Dass sie
früher in Indien während der Menses noch nicht einmal kochen durfte, mag
übertrieben sein, aber auf feinstofflichen Ebenen drückt sich dieses
Blutverlieren (Leben- und Geistverlieren) nun einmal als fluidales Muster aus.
Vulva und Scheide der Frau entsprechen unleugbar dem aufnehmenden Kelch und
tragen damit die Signatur von Binah, der obersten weiblichen Sphäre des
Lebensbaums. Für die Frau als Repräsentantin der Zahl Zwei ergeben sich
symbolisch die Begriffe Mond, Zweiheit, Spaltung, Finsternis, Seele, Welt,
Wasser, Erde, Tod, Abstieg und Wiedergeburt. Diese Qualitäten trägt das Fluidum
der Frau weit über die Grenzen des Sichtbaren hinaus, und darin liegt ein
wichtiges Phänomen, das sich die Sexualmagie zunutze macht.
Der Mann als Priester:
Symbol für Ewiges Leben, Erhebung,
Illumination
Beabsichtigt man nun
in der Liturgie die Faktoren Sonne, Einheit, Göttlichkeit, Licht, Geist,
Kosmos, Feuer, Luft, Leben, Erhebung und Erleuchtung in ein menschliches Symbol
zu kleiden, bietet sich das Fluidum des Mannes an. Er trägt von Natur aus den
Phallus als aufgerichteten Stab und verfügt durch die Zeugungskraft über die
Symbolik der erschaffenden Eigenschaft. Das Fluidum des Mannes findet ebenso
Anwendung in der Sexualmagie. Im Gegensatz zur Frau, die in die Gruft der Transmutation hinabführt, führt der Mann die Treppen hinauf, und er entspricht als Symbol der
Zahl Eins. Einheit steht über der Polarität, gilt als deren Ursprung. Einheit
befindet sich jenseits der Polarität und ist ihr erklärtes Gegenteil. Darum ist
es letztlich falsch zu sagen, in der Einheit sei Männliches und Weibliches
vorhanden; wäre dies so, handelte es sich nicht mehr um eine Einheit.
Haarspalterisch fortzufahren und zu behaupten, die Dualität müsse latent in der
Einheit vorhanden sein, sonst könnte sie sich in der manifesten Schöpfung nicht
entfalten, mag zwar als Hypothese richtig und philosophisch recht brauchbar
sein, gehört aber zu einer Vorstellung innerhalb der polaren Welt und trifft
auf den Sinngehalt des Wortes Einheit allein deshalb schon nicht mehr zu. Unter
Einheit versteht man das ganz Andere, so wie man Gott als das vollkommen
Jenseitige, das Unsagbare definiert.
Mann und Weib und
Weib und Mann
reichen an die Gottheit an.
Schikaneder/Mozart
Blenden wir mit diesen Gedanken in ein magisches Ritual
hinein, wo man unter Zuhilfenahme von Mitteln aus der dualen Welt
Schöpfungsgeschehen abbildet, Bewusstseins-Erhebungen anbietet und sich damit
langfristig Erlösung von der Polarität erhofft. Vereinfacht ausgedrückt zeigt
man im abendländischen Ritual durch Arbeit und Verehrung auf, wie jenseitiger
Kosmos und diesseitige Welt miteinander in Verbindung stehen, indem man das
Geschehen in vier Himmelsrichtungen setzt, die den vier paradiesischen Flüssen,
den vier kabbalistischen Welten sowie den vier Elementen entsprechen und von
dieser Ordnung aus Anrufungen durchführt. Der Einheitsbegriff, den die
männliche Priesterfunktion im Osten darstellen soll, liegt jenseits einer
männlich-weiblichen Polarität, darum fließt das lange Gewand über seinen Körper
und drängt das typisch Männliche zurück. Im Ergebnis gleicht er damit dem
Hermaphroditen auf der magischen Sphäre Hod im kabbalistischen Lebensbaum, wo
die Zeugungsenergie nicht auf Irdisches gelenkt wird, sondern sich für das
geistige Streben in Kraft setzt und metaphysisch zeugt, gleichsam überzeugt.
An dieser Stelle sollten wir einsehen: Aufgrund ihrer
weiblichen Gegebenheiten wird die Frau sowohl im Osten als auch im Süden zum
todbringenden Symbol für das Fluidum des gesamten Rituals, da sie ebendiese
hermaphroditische Tugend nicht zu vollbringen vermag. Ihr Fluidum ist
gespalten, saugend, aufnehmend, d.h. ohnehin schon Minus und nicht Plus. Mit
dem Anlegen der Robe gelangt noch ein Minus hinzu. Im umgekehrten Fall bedarf
es dringend des weiblichen Fluidums im Westen und Norden des Tempels. Denn nach
dem Tod der irdischen Identifikation erfolgt die Wiedergeburt als himmlische
Identifikation aus dem Uterus der sogenannten Frau Welt. Indem die westliche,
durch Demut (=Wasser) geläuterte Priesterin mit erhobenen Armen und geneigtem
Kopf Fleh- und Bittgesänge anstimmt, hält sie das sexualmagische Gleichgewicht
zu den eher gebieterischen Forderungen des östlichen Priesters (=Luft). Dem liegt eine ganz einfache Regel zugrunde: Würde
die Frau gebieterisch im Osten agieren, müsste der Mann die flehende Position
einnehmen, um den Ausgleich herbeizuführen; nur leider würde dann das Fluidum
nicht mit der Handlung übereinstimmen.
Anima und Animus und deren Chiasmus
Als Analogie ließe
sich ein traditionell gekleidetes Hochzeitspaar oder der klassische Turniertanz
anführen. In beiden Fällen trägt die eigentlich dunkle Mondenfrau seine Sonne,
d.h. sein Licht, als Kleid, wohingegen der Mann die Schwärze des weiblichen
Prinzips auf sich nimmt. Darin sind archetypische Symbole von Gegensatzvereinigung
erkennbar: Der eine trägt des anderen Last! Was auf der profanen Ebene sich
nicht mehr überall aufrecht erhält, sozusagen unmodern wurde, bewahrt, hegt und
pflegt die kleine Arche Noah der Rituale, damit die Seele einen Ort findet, an
dem sie durch das Rettungsboot der geistigen Ordnung die Flutkatastrophen
lunarer Einbrüche im Alltag übersteht. Eine ähnliche Wechselwirkung, wie sie
oben beschrieben ist, vollzieht sich auf der Nord-Süd-Achse in einem mystischen
Ritual. Das reichliche Ernten am Erkenntnisbaum im lichtvollen Süden (Feuer)
zeigt sich kompensatorisch als Leid im dunklen Norden (Erde). Darin liegt ein
Gesetz, das man allerorten gut beobachten kann, dessen Ausformulierung uns
jedoch von unserem Thema wegführen würde. Nur so viel: Eben gerade für diesen
Effekt, sich sehr weit in die Wissensbereiche vorgewagt zu haben und
proportional zu der Macht, die dadurch erlangt wird, das Leid in sein Umfeld zu
ziehen, gibt es ja magische Rituale. Eine regelmäßige Teilnahme an ihnen beugt
einem Ungleichgewicht zwischen Macht und Ohnmacht vor, darin liegt eines der
Geheimnisse. Aufgrund der Verbindung Süd-Nord (Feuer-Erde) geraten Licht und
Schatten in gegenseitige Ergänzung. Aus großem Wissen entsteht auf diese Weise
heilige, getragene Weisheit, die von selbst das Ausmaß der Macht zu erkennen
vermag und erfasst, wie viel Demut zu ihrer Kompensation vonnöten ist. Die
vibrierenden Fluida auf den Achsen streben einen ausgewogenen Idealzustand an,
und man bemüht sich, alle Vorzeichen und Symbolhandlungen möglichst genau
anzupassen an die unsichtbare Hierarchie, die sich zwischen Mensch und Gott
erstreckt. Gelingt dies in ausreichendem Maße, kommt es im günstigsten Fall zu
einer subtilen Kommunion, einer Assumption, einer Abstimmung, mit unsichtbaren
Heerscharen und Kosmischen Meistern. Was bereits unten miteinander in Harmonie
geraten ist, vollbringt das Wunder eines In-Harmonie-Kommens mit dem Großen
Oben. Und diesen doppelseitigen Erfüllungsakt benennt man mit dem Wort Sexualmagie.
Es muss sicher nicht extra betont werden, dass dies mit Sexualität im
körperlichen Sinne nichts zu tun hat, aber dennoch eine Art Zeugungsakt
darstellt. Hier werden die Ausdrucksmittel der Sprache zu schwach, um exakt
beschreiben zu können, was in Wirklichkeit auf transzendenten Ebenen geschieht,
weswegen diesbezüglich oftmals das Synonym einer jungfräulichen Geburt und des
Heranwachsens eines Bewusstseinskindes gewählt wird. Denken wir dabei an Horus,
Krishna, Brimos, usw., die sinnbildlich in der weiblichen Tiefengrotte jenes Berges
empfangen wurden, bis zu dessen Gipfel der zeugende Geist Gottes herabzukommen
vermochte. Das solare Licht Gottes scheint auch hier in der Finsternis! Das
Weibliche, das synonym für den irdischen Bewusstseinsanteil steht, wird in
seinem Wohnort, in der Tiefengrotte der irdischen Welt, solar bestrahlt, wie
der Mond von der Sonne oder Maria von dem Heiligen Geist. Die Muttergottheit,
also Maria die geläuterte Materie, empfängt den Sohn, dem die Kraft gegeben
ist, die Seele aus der Knechtschaft des Stoffes zu befreien. Sie gebiert keine
Tochter, da das weibliche Prinzip in seiner Spaltungsqualität die
Erlöserfunktion nicht beinhaltet. Die rituelle Abbildung einer solchen
inwendigen Wiedergeburt des Geistes nennt man Sexualmagie.
Gemäß der
Schöpfungsprinzipien entspricht der Osten eines Tempels oder einer Kirche dem
Ursprung des Lichtes und der Süden dem Gipfel des Berges. Empfängnis und Geburt
des göttlichen Kindes müssen demzufolge im Westen und Norden stattfinden. Steht
aber eine Frau im Osten, müsste theoretisch ein Mann als das empfangende
Prinzip im Westen ansässig sein. Befindet sich dort wiederum eine Frau, stellt
sich das sexualmagische Unternehmen vollends in Frage.
An diesem Punkt
führen viele gerne das Argument an, dass die Frau ihren Animus in sich trüge,
der Mann die Anima, beide also wahlweise mit ihren inneren oder äußeren
Geschlechtern hantieren könnten. Das stimmt sicher als Fixe Idee und lässt sich
intellektuell hitzig durchdiskutieren, ist aber im initiatischen Sinne aus
vielen Gründen unhaltbar. Beispielsweise kann es das Ideal des „Tanzenden
Androgyns“ niemals im Grobstofflichen geben, dort wäre es die Anomalie des
Zwitters, die jedoch mit dem erhabenen Mysterium des Hieros Gamos der 21.
Tarotsäule gar nichts gemeinsam hat. Und der Hermaphrodit stellt ohnehin ein
magisches Kunstprodukt dar, wie wir oben bereits gesehen haben. Kehren wir
zurück zu dem Begriff des Fluidums, so ist es sicher gerade dieses, welches
emporsteigt und die kosmischen Kräfte und das Egregore berühren soll.
Nachweislich fliegt ja keine Person hinauf, im Gegenteil: Man muss hoffen, dass
die Füße der Ritualdiener trotz aller Feierlichkeit fest auf dem Boden stehen,
jeder übertriebene Höhenflug kann dem Ergebnis im Ganzen sehr abträglich sein.
(Schließlich sollte man nicht vergessen: die geflügelten Engel wohnen oben;
unten bleiben die Ritualdiener Menschen, je geerdeter, um so besser!) Die
Fluida der anwesenden Ritualpersonen geraten in Abstimmung untereinander,
verknüpfen das Unten mit Hilfe der sakralen Handlung und steigen als
überpersönlicher, rein qualitativer Verbund auf dem Gewölk heiliger Worte
empor.
Auch wenn es für
manchen schmerzlich sein sollte, aber die untere Person erfährt von den oberen
Kräften keinerlei Beachtung, deshalb sagen himmlische Scharen auch ganz sicher
nicht: „Ach, schau’ her, das macht Herr Himmelsmeier heute sehr gut, da
schicken wir ihm doch gleich ein Extralob herab! Aber Frau Müller-Seligendorf
sieht ein wenig blass aus, wir sollten sie aufbauen!“ Derart kindlich direkt
und funktional darf man sich rituelle Hintergründe einfach nicht vorstellen. Es
geht eher darum, dass die gemeinsame Fluidalkraft aller Beteiligten zu einem
Höchstmaß an Vollendung findet, und deshalb darf Wert darauf gelegt werden,
dass sie in den Grundeigenschaften so stimmig wie möglich sind.
Die Aufgabe der
rituellen Magie besteht hauptsächlich in einem jenseitig wirksamen Werk und hat
nicht die Aufgabe, ein paar tröstende Worte für den schweren Diesseitsweg zu
spenden oder sonstige liebe nette Dinge zuwege zu bringen, bei denen man sich
abgeholt, aufgefangen oder geborgen fühlen könnte. Für solche Belange gibt es
genügend Welness-lnstitutionen auf Erden, die sehr gute Arbeit leisten.
Abschließend sei noch in aller Zartheit ein Geheimnis angedeutet,
das wie so vieles mit Worten nicht ganz erfasst werden kann, aber vielleicht
ahnt der Einzelne eine außergewöhnliche Dimension in der folgenden Hypothese.
In theoretischer Idealvorstellung könnte es geschehen, dass der Mann im Osten
des Tempels ein Viertel Weiblichkeit in sich verbirgt, das sich mit Dreiviertel
Weiblichkeit der Frau im Westen vereint; das Ergebnis wäre die vollkommene Frau
auf der fluidalen Ebene. Ebenso wäre es denkbar, dass die Frau im Westen ein
Viertel Männlichkeit in sich verbirgt, das sich mit Dreiviertel Männlichkeit
des Mannes im Osten vereint; das Ergebnis wäre der vollkommene Mann auf der
fluidalen Ebene. Würde dieser Idealfall sowohl auf der Ost-Westachse als auch
auf der Süd-Nord-Achse eintreffen, wären Himmel und Erde in Harmonie gebracht.
Und Harmonie gilt als die abendländische Bezeichnung von Tao oder Nirwana und
als Synonym der Agape. Demgemäß bedarf Harmonie der reinen, selbstlosen Form
der Hohen Magie. Das Arkanum der Hohen Magie bleibt für den Verstand unergründlich,
aber das Fluidum überwindet ihn und haucht die Flügel der Engel an. In einem
harmonischen Zusammenspiel von Symbolik, Wort, Klang und Handlung steigt durch
Sexualmagie die Quintessenz aus den vier Elementen empor, öffnet für einen
Augenblick die Pforten zum Himmel und lässt es Manna für alle regnen.
Gabriele
Quinque